Im Schweizer Kanton Genf entschied die Bevölkerung 1974 durch ein Referendum für ein allgemeines Jagdverbot auf Säugetiere und Vögel. In den nachfolgenden Jahren erhöhte sich die Zahl der an den Ufern des Genfer Sees und der Rhone überwinternden Wasservögel auf spektakuläre Weise - ohne Zweifel eine Folge der ausbleibenden Störungen durch die Jagd.
Vor dem Referendum hatten Jagd-Vertreter behauptet, der Feldhase wäre im Kanton Genf ohne die Jagd von der Ausrottung durch Beutegreifer bedroht. Das Gegenteil war der Fall: Inzwischen erfreut sich der Kanton Genf einer gesunden, vermehrungsfähigen Feldhasenpopulation, der größten Populationsdichte von Feldhasen in der Schweiz. Die Befürchtung der Landwirte, dass das Jagdverbot mehr Schäden an Kulturen bringen werde, hat sich nicht bewahrheitet: Die Schadenszahlen im Kanton Genf sind vergleichbar mit denen von Schaffhausen - obwohl in Schaffhausen die Jagd erlaubt ist.
Jäger dagegen argumentieren, dass der Kanton Genf zeige, dass es ohne Jagd nicht gehe: Denn weil hier Jagdverbot herrscht, werden staatliche Wildhüter eingesetzt, welche die überhöhte Zahl der Wildschweine dezimieren. Was ist hierfür die Ursache?
Immer wenn im benachbarten Frankreich Jagdsaison ist, schwimmen die Wildschweine über die Rhone ins jagdfreie Genf. Dann gibt es hier natürlich zu viele Wildschweine, so dass dann staatliche Wildhüter Wildschweine schießen.
Doch das Problem sind hier wieder einmal nicht die Tiere, sondern die Jagd - in diesem Fall der Jagddruck im benachbarten Frankreich.
Ein Kanton in der Schweiz zieht Bilanz:
Seit über 30 Jahren ohne Jagd
Von Christian Peter und Gaby Siegenthaler,
Anti-Jagd-Forum Schweiz
Im Jahr 1974 wurde im Kanton Genf die Jagd per Volksentscheid abgeschafft. Viele Gebiete in Genf sind bald zu einem Refugium für Hasen, Füchse, Dachse, Biber und etliche bedrohte Kleintierarten geworden. Nicht zuletzt auch durch die Errichtung von Hecken, die einzelne Gebiete verbinden, so dass sich die Tiere im Schutze dieser Biotope fortbewegen können. Besonders der Hase - vor dem Jagdverbot vom Aussterben bedroht - erfreut sich längst stabiler Populationen.
Der Hirsch kehrt zurück
Im jagdfreien Genf erobert sich inzwischen auch der Hirsch sein Gebiet zurück. Er ist allerdings anderen Gefahren ausgesetzt: dem komfortablen Straßennetz und damit größerer Verkehrsdichte. Das erschwert seine Wanderungen beträchtlich, läuft er doch Gefahr, im Winter, wenn er sich zunehmend dem Unterland nähert, im Verkehr umzukommen.
Auch hier hat der Aufruf der kantonalen Behörden ohne Zweifel seine Wirkung: »Haltet die Geschwindigkeitsbegrenzungen in Waldgebieten ein, auch auf geraden Strecken und vor allem nachts. Eine Kollision mit einem Hirsch kann sowohl für das Tier, wie auch für den Fahrer fatale Folgen haben.«
Wildschwein: Symbol für »Natur pur«
Auf einem Spaziergang durch einen Wald nahe der Stadt Genf findet man den folgenden Hinweis: »Liebe Spaziergänger, Wildschweine sind nicht gefährlich. Stört sie nicht im Wald, damit sie nicht auf Kulturflächen ausweichen müssen. Haltet die Hunde an der Leine und bleibt auf den Wegen!«
Die Genfer nennen »ihr« Wildschwein ein Symbol für »Natur pur«. Die positive Haltung den Wildschweinen gegenüber mag einen vielleicht erstaunen, da der winzige Kanton der Schweiz zur Hauptsache aus städtischem und urbanisiertem Gebiet besteht (282 km², 390.000 Einwohner).
Jagd in Frankreich: Die Tiere schwimmen über die Rhone
Dem borstigen Tier scheint es im Kanton Genf vor allem während der Jagdsaison in Frankreich zu gefallen. Denn da schwimmen die Wildschweine über die Rhone in das jagdfreie Genf. Dazu ist folgendes festzuhalten - und das gilt nicht nur für den Kanton Genf: Von Natur aus bleiben Wildschweine ihrem Revier sehr lange treu. Zitat aus »Infodienst Wildbiologie & Ökologie« des BUWAL (Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft): »Jede Rotte besitzt ein eigenes. gegen benachbarte Rotten verteidigtes Revier, dem sie in der Regel lange treu bleibt. Wo Wildschweine ungestört leben, sind sie vorwiegend tagaktiv, können jedoch völlig auf ein Nachtleben umstellen.« Die Jagd in Frankreich zwingt also die Tiere, ihr Revier zu verlassen und nach Genf auszuweichen. In dieser Zeit kann es örtlich zu größeren Belastungen kommen, da die Tiere ja etwas essen müssen. Sobald jedoch Europa jagdfrei ist, brauchen sich die Tiere nicht mehr in zu kleine Räume zu flüchten - und die sogenannten »Schäden« kämen auf ein so kleines Minimum zu stehen, dass man sie statistisch vernachlässigen könnte.
Die kantonalen Naturschützer aus Genf haben sich mit den betroffenen Bauern sowie Jägern aus dem benachbarten Frankreich, zusammengetan um nach Lösungen zu suchen: Wie kann man die Schäden in Grenzen halten und der Landwirtschaft gerecht werden? Keine leichte Aufgabe, wenn man den Teufel einlädt, eine Strategie gegen den Belzebub zu entwickeln. Jäger und Bauern sind noch nie die Gesprächspartner für echten Tierschutz gewesen. So werden die ca. 350.000 Euro, welche der Kanton derzeit jährlich ausgibt für Schutzmaßnahmen - wie Umzäunungen von besonders betroffenen Kulturgebieten sowie Wildfütterungen, welche die Tiere von Kulturgebieten fernhalten sollen - gerade aus den Kreisen der Jäger als unnütz und überhöht verschrieen. Inzwischen reduzieren sich die Kosten kontinuierlich. Genf ist ein Weinbau-Kanton. Weinbaugebiete verschieben sich kaum, Umzäunungen sind daher einmalige Ausgaben und benötigen weiterhin nur jährliche Wartung. Wenn der Schutz der Weinberge konsequent umgesetzt und die Buntbrachen bewusst an die Waldränder angrenzen würden, hätte man das aufzuwendende Geld schon längst erheblich reduzieren können.
Zum Glück stehen die kantonalen Behörden auf dem Standpunkt: »Es ist nicht unser Ziel, das Wildschwein zu vertreiben oder gar auszulöschen - denn es gehört zum Bild unseres Gebietes dazu, und die Bürger sollen auch weiterhin die Gelegenheit haben, diese Tiere beobachten zu können.«
Genf: Vorbild für andere Kantone
Der Kanton Genf ist zu einem Vorbild für andere Kantone geworden. Allerdings werden noch sogenannte Hegeabschüsse durch staatlich bestellte Wildhüter der so genannten »police nature« durchgeführt. Diese Abschüsse führen aber wieder zu einer Vermehrung der Wildschweine - nicht nur bei den Jagdflüchtlingen aus Frankreich, sondern auch bei den einheimischen Tieren, da kein Mensch, ob Wildhüter oder Jäger, sicher ist, wenn er schießt, was er schießt.
Das Problem der erhöhten Reproduktion jedoch löst man dadurch nicht, im Gegenteil: Durch die konstante Bedrohung der Tiere und die zusätzliche Fütterung auch außerhalb der Notzeiten im Winter fördert man die Vermehrung der Spezies. Denn der Winter hat immer schon für die Auslese bei den Tieren gesorgt und dafür, dass nur starke und widerstandsfähige Tiere sich vermehren. Dafür hat die Natur auch aasfressende Tiere parat, um so für Ordnung in Wald und Flur zu sorgen - es braucht den Menschen als Regulator keineswegs.
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