Polen: Immer mehr jagdfreie Grundstücke

Privilegien für Jäger eingeschränkt

In Polen gibt es immer mehr jagdfreie Grundstücke: Zahlreiche Grundstückseigentümer klagen vor Gericht gegen die zwangsweise Bejagung ihres Grund und Bodens. Inzwischen gibt es 133 Urteile von Verwaltungsgerichten, wodurch private Grundstücke aus Jagdbezirken herausgenommen wurden. Auch die Privilegien für Jäger wurden in den letzten Jahren erheblich eingeschränkt. Die Initiative »Zakaz Polowania Prywatnym Terenie« (Initiative zum Verbot der Jagd auf privatem Land) macht sich für die Rechte von Grundstückseigentümern und für die Wildtiere stark.

Von Krzysztof Wychowalek, Zakaz Polowania Prywatnym Terenie (Initiative zum Verbot der Jagd auf privatem Land)

In den letzten Jahren ist es in Polen zu erheblichen rechtlichen Änderungen in Bezug auf die Jagdausübung auf Privatgrundstücken gekommen.

1952 hatten die damaligen kommunistischen Behörden das bis heute in Polen geltende Jagdrecht eingeführt, wodurch Wildtiere rechtlich als Eigentum des Staates gelten und die Jagdwirtschaft durch Staat geführt wird. Die Behörden entscheiden über die Art und Anzahl der Tiere, die gehegt und später abgeschossen werden sollen. Das Eigentumsrecht privater Grundstückseigentümer wurde als zweitrangig gegenüber den Bedürfnissen der Forst- und Jagdwirtschaft positioniert.

Das neue Jagdgesetz von 2005 hat in diesen Bereichen nichts geändert. Das ganze Land ist in Jagdbezirke gegliedert, die sowohl öffentliche Bereiche (z.B. Staatswälder) als auch zahlreiche Privatgebiete (Wälder, Wiesen, Anbauflächen) umfassen. Das Jagdrecht steht ausschließlich den Mitgliedern einer quasi-staatlichen Organisation, dem Polnischen Jagdverband, zu, dessen regionale Vereine die verschiedenen Jagdbezirke verwalten, wofür Sie an die Kreisbehörden beziehungsweise an die Verwaltungsbehörden der Staatswälder eine geringe jährliche Gebühr zahlen.

Private Eigentümer ziehen daraus keine Profite und haben auch keine Möglichkeit, die Jagd auf ihren Grundstücken zu verweigern. Jäger dürfen ohne Genehmigung der Eigentümer deren Felder jederzeit betreten oder sie mit Autos befahren, Hochstände aufstellen, Luderplätze mit Möhren oder Mais zum Anlocken von Wild anlegen und auf Tiere schießen.

Im Austausch gegen die Führung der »Jagdwirtschaft« hat der Staat dem Polnischen Jagdverband die Verpflichtung zum Ersatz von Wildschäden übertragen. Die Landwirte hatten jedoch in der Praxis erhebliche Probleme mit der Erlangung einer zufriedenstellenden Entschädigung, da die Schadensbewertung und die Festlegung des Schadensersatzbetrages zu den Aufgaben der Jäger gehörte. Diese wollen natürlich eine möglichst geringe Wildschadensentschädigung auszahlen. Viele Jagdbezirke treffen auch keine Maßnahmen, um Felder vor Wildschäden tatsächlich zu schützen, denn für viele ihrer Mitglieder ist das Schießen auf Tiere ein Hobby oder ein Wochenendabenteuer mit Jagdtrophäen. Zum Teil verkaufen Jagdbezirke auch die Möglichkeit einer kommerziellen Jagdausübung an ausländische Jäger. Diese Jagdbezirke zielen darauf ab, dass die Zahl der Hirsche, Rehe oder Wildschweine so stark wie möglich wächst, vor allem durch intensive Fütterung der Tiere im Winter, um später in der Jagdsaison mehr Gelegenheit zum Schießen zu haben.

Die Regelungen des polnischen Jagdrechts sind mit dem deutschen Jagdgesetz vergleichbar

Auch in Deutschland unterliegen alle Flächen außerhalb geschlossener Ortschaften (die als befriedeter Bereich gelten) dem Jagdrecht. Jeder Grundstückseigentümer, der Flächen im Außenbereich besitzt, ist automatisch - und oft, ohne dass er davon weiß - Mitglied in einer Jagdgenossenschaft. Die Jagdgenossenschaft verpachtet die Jagd an Jäger, welche dann die Jagd ausüben. Die Grundstückseigentümer müssen damit dulden, dass Jäger ihre Grundstücke betreten, Hochsitze aufstellen, Futterstellen anlegen, Treibjagden abhalten und Tiere erschießen - sogar die Katze des Grundstückseigentümers, wenn sie sich zu weit vom Haus entfernt und damit als »wildernd« angesehen wird.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 26.06.2012 entschieden, dass die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft gegen die Menschenrechte verstößt, wenn der Grundeigentümer die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt. Es ist nicht mit dem in der Menschenrechtskonvention garantierten Schutz des Eigentums zu vereinbaren, wenn Grundstückseigentümer zwangsweise Mitglied in einer Jagdgenossenschaft sind und damit die Jagd auf ihrem Grund und Boden gegen ihren Willen dulden müssen.

Aufgrund des Urteils des höchsten europäischen Gerichts wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, ihre Jagdgesetzgebung entsprechend zu ändern. Am 6.12.2013 ist das »Gesetz zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften« in Kraft getreten. Grundstückseigentümer können bei der Unteren Jagdbehörde einen Antrag stellen, dass ihr Grundstück jagdrechtlich befriedet wird. In der Praxis werden den Grundstückseigentümern von den Behörden jedoch zahlreiche Steine in den Weg gelegt, um sie von der Befriedung ihrer Grundstücke abzuhalten: von der Androhung hoher Kosten bis zur Drohung, Wildschäden auf benachbarten Grundstücken zahlen zu müssen. Viele Grundstückseigentümer müssen jahrelang auf die Befriedung ihrer Grundstücke warten und kommen oft nur mit Hilfe eines Rechtsanwalts zum Ziel.

Nach Urteil des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Zwangsbejagung auch erste Klagen in Polen

Der Konflikt zwischen Eigentümern privater Grundstücke (meistens Landwirten) und Jägern hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Der Grund: 2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil im Fall Herrmann gegen Deutschland gefällt, in dem festgestellt wurde, dass ein Grundstückseigentümer die Jagd auf seinem Eigentum ablehnen kann, wenn er das Töten der Tiere in dieser Form nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Daraufhin hat ein Bauern-Ehepaar aus Lebus in Polen gegen die Eingliederung ihrer Felder mit einer Fläche von 53 Hektar in den Jagdbezirk Nr. 47 beim Verwaltungsgericht geklagt. Die Ehegatten wollten auf ihrem Grundstück Teiche anlegen. Diese Pläne wurden durchkreuzt, als Jäger auf diesem Gebiet die Jagd ausgeübt, Bäume gefällt und Geländewagen geparkt haben, Jagdhunde frei laufen gelassen und auf Tiere geschossen haben. Das Verwaltungsgericht zweiter Instanz hat an das Verfassungsgericht eine rechtliche Anfrage nach der Konformität des Jagdrechts mit der polnischen Verfassung gerichtet.

Im Juli 2014 hat das polnische Verfassungsgericht entschieden, dass Art. 27 des polnischen Jagdgesetzes verfassungswidrig ist und ab Januar 2016 aufgehoben wird. Das Verfassungsgericht hat sich auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berufen und festgestellt, dass die Eingliederung eines Grundstücks in den Jagdbezirk, ohne dass die Rechte des Grundeigentümers entsprechend gesichert werden, einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Eigentumsrecht darstellt.

Im Januar 2016 hat der Öko-Verein »Zródla«, Eigentümer eines 5 Hektar großen Waldes, bei der Woiwodschaft (das ist eine polnische Verwaltungseinheit, vergleichbar mit einem deutschen Bundesland) Lodz beantragt, dass dieses Gebiet von dem Jagdbezirk Nr. 315 ausgeschlossen wird, weil der Verein, der auch als Tierschutzorganisation tätig ist, das Töten der Tiere auf seinem Grundeigentum nicht dulden kann. Nach Abweisung des Antrags durch die Woiwodschaft mit der Begründung, dass Art. 27 des Jagdgesetzes durch das Verfassungsgericht aufgehoben wurde und folglich keine Vorschrift mehr vorhanden ist, auf deren Grundlage die Grenzen der Jagdbezirke bestimmt oder geändert werden könnten, hat der Verein beim Verwaltungsgericht geklagt.

Im Dezember 2016 wurde ein Urteil verkündet, nach dem die Gründung eines Jagdbezirks auf dem zum Verein gehörenden Gelände als ungültig erklärt wurde. Das Gericht betonte, dass alle Beschlüsse der regionalen Parlamente der Woiwodschaften mit Berufung auf Art. 27 auf Grundlage verfassungswidriger und ungültiger Regelungen gefasst wurden. Folglich kann jeder Grundstückseigentümer eine Ungültigkeitserklärung dieser Beschlüsse beantragen. Im Jahre 2016 wurden gleichzeitig noch drei ähnliche Urteile in anderen Woiwodschaften verkündet.

Naturschutzverein unterstützt Grundeigentümer bei Klagen gegen die Zwangsbejagung

Der Naturschutzverein »Zródla« machte die Möglichkeit, dass jeder Grundeigentümer diesen Antrag stellen kann, bekannt, rief die Webseite www.zakazpolowania.pl (»Jagdverbot«) ins Leben und bot Betroffenen Rechtshilfe an.

Ab Anfang des Jahres 2017 haben über 100 weitere Grundstückseigentümer Klageschriften in ähnlichen Fällen bei Gerichten eingereicht. Alle Urteilssprüche waren gleich. Die meisten Kläger waren Bauer, die Jäger auf den ihnen gehörenden Grundstücken nicht akzeptieren konnten und nicht damit einverstanden waren, dass der Ersatz von Wildschäden durch Jagdvereine, und nicht aus der Staatskasse, beglichen wird.

Die Gerichte haben fast automatisch die Grundstücke der Kläger von den Jagdbezirken ausgeschlossen und in acht Fällen sogar die ganzen Jagdbezirke geradezu aufgelöst. Dennoch scheuen viele betroffene Grundeigentümer den gerichtlichen Weg wegen der Kosten und einer eventuellen Langwierigkeit des Verfahrens.

Grundstückseigentümer können verlangen, dass sie nicht mehr dem Jagdbezirk angehören

Im Jahre 2018 hat der polnische Sejm, eine der beiden Kammern der polnischen Nationalversammlung, das Jagdgesetz geändert und unter anderem den Artikel 27 erneut eingeführt, unter Berücksichtigung der Hinweise des Verfassungsgerichts. Nun haben die regionalen Parlamente der Woiwodschaften bis März 2020 Zeit, die Grenzen der Jagdbezirke neu festzusetzen, diesmal aber nach Absprache mit den Bauernvereinigungen. Außerdem kann jeder Grundstückseigentümer verlangen, dass sein Grundstück dem neuen Jagdbezirk nicht angegliedert wird, und zwar aufgrund der auf diesem Gelände ausgeführten spezifischen Tätigkeit.

Ob solche Einwände der Grundstückseigentümer berücksichtigt werden oder ob ihre Rechte nur einem scheinbaren Schutz unterliegen werden, wird sich erst im Jahre 2020 zeigen. Sollte sich herausstellen, dass die Vorschläge der Eigentümer missachtet werden, würde das bedeuten, dass das Urteil des Verfassungsgerichts vom 2014 nicht respektiert wird, was weitere Klagen zur Folge hätte.

Weitere Möglichkeit: Grundstückseigentümer können Jagdverbot beantragen

Die neuen Vorschriften geben auch die zusätzliche Möglichkeit, durch Einreichen einer einfachen Erklärung bei den lokalen Behörden die Jagdausübung auf Privatgrund verbieten zu lassen. Dieses Grundstück bleibt dann zwar weiterhin Teil eines Jagdbezirks und Jäger können es ohne Erlaubnis des Eigentümers betreten (z.B. um verletzte Tiere aufzuspüren), sie dürfen dort aber nicht schießen.

Diese Regelung basiert auf dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2012. Ursprünglich sollte die Vorschrift ausschließlich die ethischen Anschauungen des Eigentümers betreffen, falls diese im Widerspruch zum Töten der Tiere stehen, wobei der Eigentümer seine Überzeugungen vor Gericht belegen müsste. Letzten Endes wurden diese Bestimmungen vom Parlament praktisch im letzten Augenblick gestrichen, da sie wahrscheinlich verfassungswidrig gewesen wären.

Der Antrag auf Jagdverbot kann also ohne jegliche Begründung gestellt werden. Allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nur auf natürliche Personen beschränkt. Das bedeutet, juristische Personen wie Tier- und Naturschutzorganisationen oder Stiftungen können - genau wie in Deutschland - für ihre Flächen keinen Antrag auf ein Jagdverbot stellen. Infolgedessen können Tier- oder Naturschutzvereine wie »Zródla« keinen Gebrauch davon machen, ähnlich wie z.B. Gesellschaften, die Besitzer von landwirtschaftlichen Anbauflächen oder Wirtschaftswäldern sind.

Diese aktuell gültigen Vorschriften scheinen verfassungswidrig zu sein, weil sie gesellschaftlichen Einrichtungen die Möglichkeit nehmen, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Die juristische Anfechtung könnte aber kompliziert sein, besonders vor dem Hintergrund, dass die polnische Regierung die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts abgeschafft hat.

Die in der Koalition »Niechzyja!« (»Lasst sie leben!«) vereinigten Naturschutzorganisationen planen gemeinsam eine Reihe von Kampagnen, die private Grundstückseigentümer dazu anregen sollen, solche Anträge auf Jagdverbot abzugeben.

Grundstückseigentümer können Widerspruch gegen geplante Gesellschaftsjagden erheben

Eine weitere, ab 2018 geltende Änderung, ist die Möglichkeit, dass die Grundstückseigentümer Widerspruch gegen eine Gesellschaftsjagd, wie Treib- oder Drückjagd, erheben können. Die Gesellschaftsjagd ist in Polen ein populäres, brutales »Freizeitvergnügen«, bei der eine Gruppe von Jägern an einem Ort gemeinsam jagt und auf Vögel oder Wildtiere schießt, die aus dem Wald vor Treibern (d.h. vor lärmenden Menschen) zu fliehen versuchen. Oftmals sind das auch kommerzielle Jagden, die für Jäger aus Deutschland, Frankreich oder Italien veranstaltet werden. Ab 2019 haben die Jäger mindestens 14 Tage vor solchen Jagden das Gemeindeamt in Kenntnis zu setzen, welches dann verpflichtet ist, das Datum der Jagd auf der offiziellen Webseite zu veröffentlichen. Grundstückseigentümer können gegen die geplante Jagd Einspruch erheben unter Berufung auf Sicherheitsgründe, zum Beispiel, weil sie zum gleichen Zeitpunkt Feldarbeiten oder ornithologische Beobachtungen für eine Menschengruppe planen.

Von »Zródla« durchgeführte Kontrollen haben allerdings ergeben, dass die meisten Jagdvereine ihren Verpflichtungen leider nicht nachkommen: Informationen über geplante Gesellschaftsjagden werden nicht rechtzeitig oder nicht vollständig an die Gemeindebehörden weitergeleitet (z.B. ohne Angabe der Uhrzeiten oder ohne Bezeichnung des Jagdreviers in der Meldung). Es kommt aber auch nicht selten vor, dass die richtig benachrichtigte Behörde mit den neuen Vorschriften nicht vertraut ist und keine Mitteilung auf der Internetseite veröffentlicht.

Im Laufe der Arbeiten an der Gesetzesänderung hat der Entwurf eines elektronischen zentralen Jagdregisters, in dem jeder bequem Orte und Termine der geplanten Jagden einsehen könnte, leider keine Zustimmung unter den Abgeordneten gefunden. Vielleicht gelingt es in Zukunft, auf diese Idee zurückzukommen.

Die Veranstalter der Gesellschaftsjagd sollen auch das Jagdrevier durch entsprechende Warnhinweise markieren, doch das Umweltministerium hat keine Verordnung mit dem Muster für solche Warnschilder erlassen. Höchstwahrscheinlich werden Jäger auch diese Verpflichtung missachten.

Naturschutzorganisationen bringen Verstöße gegen Vorschriften zur Anzeige

Die Naturschutzorganisationen werden diese Situation aufmerksam beobachten und bei der Polizei solche Fälle zur Anzeige bringen, wenn aufgrund der Verletzung einer Informations- oder Markierungspflicht durch Jäger Unbeteiligte - zum Beispiel Touristen oder Pilzsammler - in Gefahr gebracht werden könnten.

Akzeptanz für die Jagd in Polen massiv gesunken

Polen hat 38,5 Millionen Einwohner, davon 120.000 Jäger. Die Akzeptanz für die Jagd in der Bevölkerung ist inzwischen sehr gering: Laut einer Studie vom 2016 akzeptieren nur 10 Prozent der Polen diese Art von Hobby. Die Maßnahmen zur Einschränkung der Jägerprivilegien finden positive Resonanz sowohl in der Gesellschaft als auch in den Medien - und sogar unter mehreren Vertretern der regierenden Behörden. Zudem sind die tierfreundlichen Gesetzesänderungen wohl auch eine Folge einer persönlichen Intervention des Vorsitzenden der Regierungspartei, Jaroslaw Kaczynski, der sich öffentlich mehrmals kritisch über Jäger geäußert hat.

Informationen:
Zakaz Polowania Prywatnym Terenie
(Initiative zum Verbot der Jagd auf privatem Land)
https://zakazpolowania.pl/

Kontakt:
Krzysztof Wychowałek
ODE Źródła, Łódź
krzysztof.wychowalek@zrodla.org.pl

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